Auswirkungen eines Schweizer EU-Beitritts
auf direkte Demokratie und Föderalismus


Eine politikwissenschaftliche Arbeit von Balint Dobozi
im Rahmen eines Kolloquiums von Dr. Sandra Lavenex
an der Universität Zürich. März 2001.

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© 2001 by Bálint Dobozi, Zürich. Alle Rechte vorbehalten. Bei Verwendung von Teilen dieser Arbeit in wissenschaftlichen Texten erwarte ich die übliche Zitierung, z. B. "Dobozi, Bálint. Auswirkungen eines Schweizer EU-Beitritts auf direkte Demokratie und Föderalismus. Kolloquiumsbeitrag, Universität Zürich. Zürich 2001". Es kann auch die Homepage-Location angegeben werden. Danke.

1. Einleitung

Die Schweiz und Europa: Seit der integrationspolitischen Wende des Bundesrates von 1988 ist die Frage nach dem Mass der Integration der Schweiz in die Europäische Union ein genauso kontroverses wie beliebtes Diskussionsthema geblieben – und scheint dies bis auf Weiteres auch in Zukunft zu sein. Der europapolitische Diskurs in dieser neutralen, wohlhabenden und politisch stabilen Schweiz wurde von Anfang an nicht etwa von einer politischen Vision, einer Evaluation der Chancen einer Mitgliedschaft getragen, sondern sehr bald von der Frage nach den (negativen) Auswirkungen eines Beitritts dominiert1. Einen ersten Höhepunkt dieses Diskurses stellte der Abstimmungskampf um den EWR-Beitritt dar: Den ungeschickten Befürwortern des äusserst komplexen Abkommens standen dessen Gegner gegenüber, die mit undifferenzierten, aber ihre Wirkung nicht verfehlenden Argumenten die Verluste und Veränderungen beschwörten, die im Falle einer EWR-Teilnahme ihrer Ansicht nach eintreffen würden.
Diese Gegner einer Annäherung an die EU haben seitdem konsequent auf dieselbe Weise die Verlustängste in der Schweizer Stimmbevölkerung erfolgreich hinsichtlich jener Bereiche gefördert, die in den letzten fünfzig Jahren das eigentliche Selbstverständnis Schweizer Staatlichkeit ausmachten: direkte Demokratie und Föderalismus sowie die Neutralität.
Die Frage nach der Neutralität wäre bei einem baldigen Beitritt noch wenig brisant: Die Ausgestaltung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik – angesichts des Einbezugs der WEU in die Unionsstrukturen und des erst gerade begonnenen Aufbaus einer europäischen „schnellen Eingreiftruppe“ mit fakultativer Beteiligung – ist vergleichsweise ungewiss. Die Frage nach den politischen Strukturen in der Schweiz – und nicht nur bezüglich einer Anpassung bei einem EU-Beitritt, sondern auch im Zusammenhang mit der innenpolitischen Diskussion um die Regierungsreform angesichts der Globalisierung – weist hingegen eine hohe politische Aktualität auf. Bezeichnend ist auch Martin Zbindens Beitrag zur Aufsatzsammlung „Der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union“ (Cottier/Kopse 1998: 213–269), in dem er nachzeichnet, wie seit dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach der Wende von 1989 die Neutralität ideell und funktional an Bedeutung verloren hat und immer mehr durch die direkte Demokratie als dominierendem Faktor der politischen Identität der Schweiz abgelöst wurde. Diese Sicht wird durch verschiedene andere Arbeiten gestützt (Cottier/Kopse 1998: 435 sowie 660f.).
In dieser Arbeit möchte ich die Frage, was mit der Schweiz bei einem Beitritt zur EU geschähe, insofern zuerst bezüglich der Ausgangslage und dann bezüglich der institutionellen Strukturen und der demokratischen Mechanismen aufrollen. Aufgrund meiner Disposition ergeben sich folgende Fragen:


2. Direkte Demokratie und Föderalismus: Geschichte und Ausgestaltung

Im Folgenden griff ich für die Basisinformationen auf Jean-François Auberts Beitrag über die staatspolitischen Einrichtungen der Schweiz auf der Website des Parlaments2 sowie auf das „Handbuch der Schweizer Politik“ (Klöti et al. 1999) zurück.

2.1. Föderalismus

Wichtige Quellen zu diesem Abschnitt sind Hännis Betrachtungen zur historischen Dimension (Hänni 2000: 383–389), Vatters Ausführungen zu den föderalistischen Institutionen in der Schweiz (Klöti et al. 1999: 84–100) sowie Fleiners und Töpperweins Föderalismus-Aufsatz (Cottier/Kopse 1998: 323–347).
Die Schweiz war ursprünglich ein loser Bund der so genannten Orte, der Kantone: die alte Eidgenossenschaft. Erst ein halbes Jahrhundert nach der napoleonischen Helvetischen Republik und der späteren Umwandlung in einen Staatenbund wurde die Schweiz 1848 mit der Bundesverfassung zum föderalistischen Bundesstaat (Vgl. Brockhaus 1997, Topos: Föderalismus). Dieser stellt somit einen Zusammenschluss der Kantone, der „ursprünglichen Staatswesen der Schweiz“ (Hänni 2000: 383), dar.
Der Föderalismus stellt im Wesentlichen eine Staatsform dar, in der den Gliedstaaten Autonomie und Mitbestimmung verfassungsrechtlich garantiert werden (Fleiner/Töpperwein, in: Cottier/Kopse 1998: 325).
Der schweizerische Bundesstaat besteht heute aus 26 solcher Gliedstaaten, den erwähnten Kantonen3. Der zentrale Aspekt des schweizerischen Föderalismus ist die weit gehende Autonomie der Kantone, die sich in der Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen (sowie den Gemeinden) manifestiert. Die Kantone besitzen Staatshoheit und sind innerhalb der ihrer Kompetenz unterstellten Bereiche auch zur Gesetzgebung befugt, so im Besonderen auf steuerrechtlichem Gebiet. Sie sind somit souverän, „... soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist ...“ (Art. 3 BV). Obschon sie dem Bund vor allem seit der ersten Revision der Bundesverfassung 1874 viele ihrer ursprünglichen Kompetenzen übertragen haben, verfügen die Kantone nach wie vor über weit gehende Befugnisse im Erziehungs- und im Gesundheitswesen, in gewerbepolizeilichen und raumplanerischen Belangen, bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und bei der Organisation der Rechtspflege.
Aber auch die Mitbestimmung der Gliedstaaten ist Teil des Schweizer Staatssystems: Die Kantone bestimmen die Politik auf Bundesebene mit, sei es durch ihre Vertreter im Ständerat, sei es über das Ständemehr in wichtigen nationalen Abstimmungen. Auch haben die Kantone die Kompetenz, so genannte Standesinitiativen ans Bundesparlament zu richten. Des Weiteren konsultiert der Bund, was seine Arbeit betrifft, regelmässig die Kantonsregierungen in so genannten Vernehmlassungsverfahren. Ein politisches Instrument der Kantone mit zunehmendem Einfluss ist schliesslich die 1993 geschaffene interkantonale Konferenz der Kantonsregierungen, die gegenüber dem Vernehmlassungsverfahren an Bedeutung zu gewinnen scheint.

2.2. Direkte Demokratie

Die zweite wichtige Besonderheit des staatspolitischen Systems der Schweiz ist die sich im Vergleich mit andern Ländern wesentlich unterscheidende Ausprägung der demokratischen Mitbestimmungsrechte des Volkes, das in der Schweiz somit der „Souverän“ ist.
Ausgehend vom grundsätzlichen Stimm- und Wahlrecht für alle Schweizerinnen und Schweizer ab dem Alter von 18 Jahren, bestehen folgende direktdemokratischen Rechte:
Wahlrecht: Das Volk wählt auf Bundesebene die Mitglieder des Nationalrates und, nach kantonalem Recht, jene des Ständerates. Die beiden Räten zusammen bilden die Vereinigte Bundesversammlung die für die Wahl der Bundesexekutive, des Bundesrates, verantwortlich ist. Auf Kantons- und Gemeindeebene wählt das Volk jedoch die Mitglieder sowohl der legislativen wie auch der exekutiven Organe.
Stimmrecht: Ausserdem hat das Volk Verfassungs- und Gesetzgebungsbefugnisse: 100 000 Stimmberechtigte können über eine Volksinitiative eine Total- oder Teilrevision der Verfassung verlangen. Die Unterschriften müssen innerhalb einer Frist von 18 Monaten gesammelt werden. Eine solche Revision muss zwingend dem Volk und den Ständen zur Abstimmung vorgelegt werden und ist erst gültig, wenn sie sowohl von der Mehrheit der Stimmberechtigten als auch von der Mehrheit der Kantone (12 von 23) angenommen wird. Schliesslich müssen Bundesgesetze und gewisse Staatsverträge dem Volk vorgelegt werden, wenn dies von 50 000 Stimmberechtigten innerhalb einer Frist von 100 Tagen nach deren Bekanntgabe verlangt wird.

2.3. Historizität

Sowohl die direktdemokratische wie auch die föderalistische Komponente des Schweizer Staatssystems wurden in der ersten Bundesverfassung von 1848 festgeschrieben, gehen aber auf noch ältere Traditionen des Staatsverständnisses zurück. Insbesondere das jahrhundertelange politische System des losen Staatenbundes der „Orte“ hat in der föderalistischen Struktur des Bundesstaates seinen Nachfolger gefunden.
Erst das Verständnis dieser Staatstradition macht klar, wieso die europapolitische Debatte mit der Einflechtung beschriebener Verlustängste zu einer eigentlichen Debatte um „Schweizer Grundwerte“ werden konnte. Die Frage ist nun, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen der Europafrage und den befürchteten Souveränitätsverlusten tatsächlich besteht, und wenn ja, wie gross er ist.


3. Die Schweiz im heutigen internationalen Kontext

Um die zwingende Qualität der Herausforderungen an die Schweiz und ihr politisches System besser verstehen zu können, sollen im Folgenden deren veränderte internationale Rahmenbedingungen nachgezeichnet werden. Hier sind insbesondere die zwei grossen Linien zu berücksichtigen, die schon angesprochen wurden: sowohl die Entwicklung der Kooperation auf der europäischen Ebene wie auch die Zunahme der globalen Interdependenz in den letzten 50 Jahren.

3.1. Europa

Zu diesem Abschnitt konsultierte ich wesentlich den Aufsatz von Martin Zbinden (Cottier/Kopse 1998: 213-269)
Die Entwicklung Europas seit dem Zweiten Weltkrieg wurde massgeblich durch die europäische Integration geprägt. Schon bald nach dem Krieg, in den 50er-Jahren, begann die institutionalisierte Zusammenarbeit einer sich sukzessive vergrössernden Gruppe europäischer Staaten. So schlossen sich die „sechs“ – Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg – in einem ersten Schritt 1951 zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zusammen. Diesem Schritt folgten 1957 weitere Verträge, jene über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG und die EURATOM. Die erklärte Finalität dieses sich entwickelnden Gebildes war somit vorerst eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Da entsprechende Versuche auf der Ebene der OECE, eine „Grosse Freihandelszone“ unter ihren 17 europäischen Mitgliedsstaaten zu schaffen, bald darauf scheiterten, und da für viele Länder eine Mitgliedschaft bei den Europäischen Gemeinschaften zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage kam, schlossen sich die Schweiz und weitere fünf Staaten4 1960 zur EFTA, der Europäischen Freihandelsassoziation, zusammen. Die EFTA war als industrielle Freihandelszone konzipiert, nicht mehr und nicht weniger, und entsprach somit der passiven Integrationskonzeption ihrer Gründungsmitglieder: Es sollten wirtschaftliche Hemmnisse abgebaut werden, jedoch sollten keine Schritte in Richtung einer Zollunion o. ä. durchgeführt werden.
Dieses Nebeneinander von EG und EFTA hielt sich über mehrere Jahrzehnte, wobei längerfristig die EG mit weiteren Integrationsschritten und neuen Mitgliedern an Bedeutung gewann, während die EFTA nicht zuletzt durch die „Abwanderung“ Grossbritanniens und Dänemarks Richtung EG an Wichtigkeit einbüsste. Die Schweiz, und mit ihr andere EFTA-Staaten, schlossen mit der EG 1972 ein umfassendes Freihandelsabkommen, um die mit der fortschreitenden EG-Integration langsam entstehenden relativen wirtschaftlichen Benach-teiligungen auszugleichen. Erst 1986 kam mit der Einheitlichen Europäischen Akte und dem in ihr enthaltenen Fahrplan zur Realisierung des EG-Binnenmarktes bis 1992 wieder neuer Wind in die Diskussion um die gemeinsame Zukunft der europäischen Länder. Dieser bedeutende Integrationsschritt innerhalb der EG würde, so vermutete man, die aussenstehenden Länder mit der Zeit in neuer Weise benachteiligen: Eine weitere „relative Desintegration“ der Nicht-EG-Mitglieder wurde befürchtet.
Die EG bot in der Folge den EFTA-Staaten Verhandlungen zur Bildung eines Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) an, die 1990 aufgenommen wurden. Als sich abzeichnete, dass den EFTA-Staaten innerhalb eines solchen Vertrages wesentliche Mitspracherechte bezüglich des zukünftig gemeinsamen Binnenmarktrechts nicht zugestanden würden, entschieden sich Schweden und Österreich bald, zusätzlich ein EG-Beitrittsgesuch zu stellen.
In der Schweiz hatte sich der Bundesrat im Zuge der sich ändernden welt- und europapolitischen Lage in seinem Integrationsbericht von 1988 für eine änderung seiner Europapolitik entschieden und befürwortete seitdem das strategische Ziel eines EG-Beitritts („integrationspolitische Wende“). So wurde auch die sich bald darauf bietende Option zu EWR-Verhandlungen wahrgenommen. Im Zuge der sich als schwierig erweisenden und zwischendurch suspendierten Verhandlungen und der Gesuchstellungen Schwedens und österreichs gelangte der Bundesrat 1991 zur überzeugung, ein EG-Beitrittsgesuch sei einzureichen. Dieser Akt geschah denn auch noch vor der Volksabstimmung über den EWR-Vertrag: Ende Mai 1992.
Nachdem aber die EWR-Vorlage ein halbes Jahr später vom Schweizer Stimmvolk bachab geschickt worden war, fror der Bundesrat konsequenterweise auch das Beitrittsgesuch auf unbestimmte Zeit ein und entschloss sich, auf dem bisher beschrittenen Weg fortzuschreiten und mit der EU Verhandlungen zu neuen bilateralen Verträgen zu beginnen. Die bilaterale Option erschien aber in diesem Moment nicht nur politisch opportun, sondern war auch wirtschaftlich viel versprechend, hatte die Schweiz seit Inkrafttreten der bisherigen bilateralen Verträge einen der höchsten wirtschaftlichen Verflechtungsgrade in Europa erreicht: Der Anteil der Exporte am Bruttosozialprodukt betrug in den frühen 1990er-Jahren durchschnittlich rund 36%, jener der Importe rund 33%. Die Schweiz war 1994 nach den USA der zweitgrösste Abnehmer der EU – 74% der Importe stammten aus der Union – und mit rund 57% der Exporte deren drittgrösster Lieferant. Mit der EU-Erweiterung auf 15 Mitglieder vergrösserten sich diese Anteile noch markant. Der Schweizer Anteil am Gesamthandel im Binnenmarkt (4%) entsprach 1998 dem Doppelten ihres Bevölkerungsanteils am Binnenmarkt (2%) (Cottier/Kopse 1998: 107f.).
Die neuen bilateralen Verhandlungen in sieben Sektoren (Strassenverkehr, freier Personenverkehr, Forschung, freier Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte, technische Handelshemmnisse und öffentliches Beschaffungswesen), wurden denn auch 1994 aufgenommen und nach vier langwierigen Jahren zu einem Abschluss gebracht. Nach der Annahme durch das Schweizer Parlament 1999 stimmte auch der Souverän im Referendum von Ende Mai 2000 der Vorlage mit grosser Mehrheit zu.
Anfang 2001 schliesslich wurden neue bilaterale Gespräche zu den so genannten Left-overs, den in den ersten Verträgen nicht verhandelten, jedoch festgelegten Themenkreisen – wie Dienstleistungen, Bildungsprogramme, verarbeitete Landwirtschaftsprodukte –, geführt, die gemeinsam mit weiteren Bereichen – hier sind vor allem „Schengen“ und „Dublin“, die gemeinsame Bekämpfung von Betrugsdelikten und die Zinsbesteuerung zu erwähnen – Gegenstand neuer bilateraler Verhandlungen werden sollen.
Nach der Ablehnung der Volksinitiative „Ja zu Europa“ vom 4. März 2001, die die unverzügliche Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen verlangt hatte, erklärte der Bundesrat seine Absicht, den bilateralen Weg in den nächsten Jahren prioritär verfolgen zu wollen.

3.2. Globalisierung

Die Voraussetzungen für eine zunehmende wirtschaftliche Integration auf globaler Ebene wurden ebenfalls in den letzten fünfzig Jahren geschaffen. Im Folgenden beziehe ich mich v. a. auf die Abschnitte zur Globalisierung bei Fleiner/Töpperwein (Cottier/Kopse 1998: 329–331) und Linder (Ibid.: 432–435).
Diese Voraussetzungen sind zunächst technischer Natur: Der Globalisierungsprozess ist nur in der Folge der technologischen Fortschritte im Personen- und Güterverkehr, in der Telekommunikation sowie in jüngster Zeit in der Informationstechnologie denkbar, die die weltweite Interaktion nicht nur möglich, sondern auch erschwinglich gemacht haben. Schnelle und billige Flugverbindungen, Telefon-, Fax- und Computerkommunikation haben die Welt zusammenwachsen lassen und die menschliche überwindung der Determinanten Raum und Zeit vorangetrieben.
Andererseits spielen wirtschaftspolitische Entwicklungen eine wichtige Rolle: Zum einen sind die Bestrebungen innerhalb internationaler Wirtschaftsorganisationen wie der OECD, dem GATT oder seit einigen Jahren der WTO, den Welthandel zu liberalisieren, zu berücksichtigen, zum anderen stellt die fortschreitende Einbindung neuer Weltregionen in dieses Netzwerk intensivierten Handels ein stark dynamisierendes Element dar – in den 90er-Jahren so geschehen mit den mittelosteuropäischen Ländern sowie den aufstrebenden Tiger-Staaten in Südostasien. Mit dem Beitritt Chinas zur WTO wird diese Liberalisierung mittelfristig wohl grossflächig fortgesetzt.
So findet insgesamt eine Intensivierung des Wettbewerbs statt, indem Märkte vergrössert werden. Diese Entwicklung ist erst mit der Entstehung eines globalen Marktes abgeschlossen. Zusätzlich zur Integration der so genannten „Output-Märkte“, d. h. dem Handel mit verarbeiteten Industrieprodukten, die schon länger voranschreitet, gewinnt die Integration der „Input-Märkte“ an Intensität, d. h. jene der grenzüberschreitenden Organisation von Produktion und produktionsnahen Dienstleistungen. Dabei nehmen auch die Direktinvestitionen global agierender Unternehmen im Ausland zu, und es besteht allgemein die Tendenz zur Fusion kleinerer, lokaler zu grossen multinationalen Unternehmen (Vgl. v. Baratta: 1999: 1089f.).
Diese globale wirtschaftliche Integration hat Folgen: Mit dem erhöhten Standortwettbewerb, den zunehmend interdependenten Finanzmärkten und der wirtschaftspolitischen Verregelung durch die genannten internationalen Organisationen nimmt auch der Konvergenzdruck auf die nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken zu. Vor allem ein Kleinstaat wie die Schweiz, die intensiv Aussenhandel betreibt5, wird sich langfristig mit dieser Entwicklung auseinander setzen müssen. So macht auch Thomas Cottier das zunehmende Gewicht der Verregelung durch eine internationale Organisation wie die WTO im Vergleich zu jener der EU deutlich (Cottier/Kopse 1998: 87–112).


3.3. Optionen für die Schweiz

3.3.1. Gefahren

Die zunehmende internationale Kooperation auf wirtschaftlicher Ebene im Rahmen der Globalisierung entwickelt eine Dynamik, die von einzelnen Nationalstaaten immer weniger beeinflusst werden kann. Die nationalstaatlichen Kontrollmöglichkeiten werden überansprucht. Während die EU mit der Realisation des Binnenmarktes und der Etablierung einer gemeinsamen Aussenwirtschaftspolitik diese Entwicklung mitgemacht – und teils wohl auch beeinflusst – hat, steht die Schweiz in ihrer so genannten Unabhängigkeit immer öfters vor vollendeten Tatsachen, was die Wirtschaftspolitik betrifft: Ihre passive Integrationsstrategie wird seit 1992 immer mehr vom autonomen Nachvollzug von EU-Recht begleitet, der den wirtschaftlichen Bedürfnissen entspricht (Cottier/Kopse 1998: 265). Nach Riklin (zit. Klöti et. al. 1999: 388) ist die Schweiz so zu einem „scheinsouveränen Nachvollzugsland“ geworden. Vor diesem Hintergrund kommen deshalb Fleiner/Töpperwein zum Schluss:

„Die einzige Möglichkeit, um den Handlungsspielraum des ‚Politischen‘ gegenüber dem ‚Wirtschaftlichen‘ zu wahren, bietet die engere internationale Zusammenarbeit und Integration.“ (Cottier/Kopse 1998: 329)

Der Internationalisierung der Wirtschaft müsse also eine Internationalisierung der Politik folgen.

3.3.2. Optionen

Angesichts dieses Handlungsbedarfs hält sich die schweizerische Integrationspolitik weiter zwei Optionen offen: die der passiven und die der aktiven Integration (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 268f.).
Zbinden versteht unter passiver Integration eine „auf Aufhebung von Hindernissen des wirtschaftlichen Austauschs ausgerichtete“, reaktive Politik, unter aktiver Integration wiederum eine „auf Rechtsharmonisierung und/oder gemeinsame Politiken ausgerichtete Politik“ (Cottier/Kopse 1998 268f.). Dabei weist er auf die historische Dimension hin und legt anschaulich dar, wie in der Schweizer Integrationspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg ein umfassender Konsens bestand, solange passive Integrationskonzeptionen dominierten, und wie dieser Konsens in die Brüche ging, sobald – wie 1961/63 beim Assoziationsversuch und 1989/92 beim EWR – eine aktive Integration angestrebt wurde.
Die gegenwärtig zu Verfügung stehenden Optionen decken sich nicht mehr mit den obgenannten Definitionen von aktiv und passiv, enthalten selbst die bilateralen Verträge doch schon gut 80% der Substanz des EWR-Vertrags und gehen über die Aufhebung rein wirtschaftlicher Hindernisse hinaus (z. B. rechtliche Anpassungen, vgl. Economiesuisse 2000: 27–33).
So erhält die bisherige passive Integration zunehmend einen unfreiwilligen Charakter: Sowohl die Zunahme globaler wie auch innereuropäischer Interdependenz lösen in der Schweiz schleichend Handlungszwänge aus, die dann – immer dem europapolitischen Konsens entsprechend – ins Bestreben münden, multi- bzw. bilaterale Verträge mit verschiedenen Parteien – u. a. mit der EU – zu erarbeiten, die der Schweiz in der supranational verregelten Welt weiter Handlungsspielräume bieten. Solche Verträge sind aber oft nicht mehr so „billig“ zu haben, wie es die Schweiz gerne möchte, ein Umstand, der sich sodann in schwachen Verhandlungspositionen manifestiert.
Die aktive Integrationsoption ist offensichtlich die mittelfristige Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen, über die der Bundesrat in der Legislaturperiode 2003-07 entscheiden will, mit allen weiter gehenden Konsequenzen.

3.3.3. Politischer Diskurs

Die Möglichkeit eines solchen letzteren, aktiven Integrationsweges ist zunächst aus historischer Sicht mit den erwähnten zwei gescheiterten „Vorgängern“ belastet, wovon einer noch nicht so lange zurückliegt und unter sehr ähnlichen politischen Konditionen, wie sie heute bestehen, abgebrochen wurde. Sodann stellt eine zukünftige Abstimmung um einen EU-Beitritt das Schweizer Stimmvolk noch vor viel mehr Fragen, als es die EWR-Vorlage tat. Die damals gescheiterte Informationspolitik des Bundesrates bezüglich der Auswirkungen des komplexen Vertragswerks konnte sich gegen die gegnerische Kampagne mit ihren einfach gestrickten, aber hoch effektiven Argumenten, die den Verlust von Souveränität und direkter Demokratie betonten, nicht durchsetzen.
Ein aktiver Integrationsweg setzt darum eine intensive politische Vorarbeit voraus, die die Auswirkungen eines Beitritts auf die Schweiz erläutert und die somit der in hohem Masse innenpolitischen Determination der Integrationsagenda des Bundes entspricht (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 269). Es muss damit gerechnet werden, dass nicht nur grundsätzliche europapolitische Entscheide, sondern auch Entscheide etwa über vorbereitende Arbeiten hinsichtlich eines Beitritts im Referendum durch das Volk entschieden werden.
Die Realisation eines EU-Beitritts, ein aktives Integrationskonzept, bedingt somit einen breiten Konsens in der Schweiz. Hier liegt die grosse Herausforderung.


4. Auswirkungen eines EU-Beitritts auf direkte Demokratie und Föderalismus


In diesem Teil soll die Frage nach den Auswirkungen eines EU-Beitritts auf direkte Demokratie und Föderalismus in der Schweiz aufgrund wissenschaftlicher Arbeiten beantwortet werden. Dabei greife ich auf verschiedene Arbeiten mehrheitlich juristischer und politikwissenschaftlicher Provenienz zurück.
Die Relevanz der Frage ergibt sich u. a. aus ihrer Rolle im europapolitischen Diskurs: Die Europagegner halten an der mittlerweile überholten Forschungsmeinung mit Vehemenz fest, die Schweiz müsse direkte Demokratie und Föderalismus im Falle eines Beitritts aufgeben, und sind damit erfolgreich. Und so relativieren in einer repräsentativen Umfrage denn auch Schweizer StimmbürgerInnen ihre Zustimmung zu einem EU-Beitritt, sobald es um dessen Folgen geht: Neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer ist die Einschränkung der Volksrechte für die Befragten am wenigsten akzeptabel (Vgl. GfS-Forschungsinstitut, Europa-Barometer, „Akzeptierte Konsequenzen bei EU-Beitritt“6 ).

4.1. Direkte Demokratie

4.1.1. Auswirkungen

In diesem Abschnitt soll nun anhand der rechtlichen Grundlagen und verschiedener Studien die Frage nach der Auswirkung eines Beitritts auf die direkte Demokratie behandelt werden.
Pascal Mahon und Christoph Müller weisen richtig darauf hin (Cottier/Kopse 1998: 484f.), dass lange die weit verbreitete Meinung herrschte, direkte Demokratie und EG-Beitritt seien unvereinbare Dinge, bei einem Beitritt zur EG müsse Erstere aufgegeben werden. Erst anlässlich des Abstimmungskampfs um den EWR Anfang der 90er-Jahre wurde diese Meinung differenziert. Trotzdem dient dieses Argument Schweizer EU-Gegnern weiterhin als verlässliche Stütze jeglicher Anti-Europa-Kampagne (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 436).
Bei einem Beitritt und somit der übernahme des acquis communautaire fände ein Kompetenztransfer wichtiger Politikbereiche von der Bundes-, teils aber auch von Kantonsebene auf Unionsebene statt7. In diesen Bereichen könnte die EU Richtlinien bzw. Verordnungen erlassen, die auf der betreffenden tieferen Ebene umgesetzt werden müssten.
Um zu verstehen, welche neuen Voraussetzungen die Geltung übergeordneten EU-Rechts den direktdemokratischen Instrumenten des Referendums und der Volksinitiative bringen würde, wurden verschiedene Studien durchgeführt, in welchen Vorlagen, über die in den letzten zehn Jahren abgestimmt worden ist, auf ihre „Europatauglichkeit“ hin untersucht wurden, d. h. darauf, ob sie in einer Schweiz, die damals schon EU-Mitglied gewesen wäre, Kompatibilitätsprobleme mit dem dann geltenden EU-Recht aufgewiesen hätte.
Prof. Schindler von der Universität Zürich verfasste 1995 eine Studie (www.europa.admin.ch/d/pub/dos/direktedemoc.htm) in der er Bundes- und Kantonalvorlagen der Periode 1990–1994 daraufhin analysierte, ob sie angesichts einer Mitgliedschaft durch EU-Recht entweder ganz oder teilweise erfasst worden wären. Bei den 283 Referenden auf Bundesebene kam heraus, dass rund 60% der Vorlagen gar nicht, rund 30% teilweise und nur rund 10% voll vom Unionsrecht berührt wurden. Die Untersuchungsergebnisse für den Kanton Zürich wiederum ergaben einen Anteil von 90% der insgesamt 73 Vorlagen, die nicht mit dem EU-Recht kollidierten, weitere gut 8% wurden teilweise berührt, und nur eine Vorlage wurde in vollem Umfang vom Unionsrecht erfasst. Schindler ging für die Gemeinden von noch weit niedrigeren Werten aus.
Eine Studie der Universitäten Genf und Freiburg (www.europa.admin.ch/d/int/ ri_etudesjuridiques.htm) untersuchte speziell etwaige Inkompatibilitäten zwischen kantonalen Vorlagen und EU-Recht. Dazu zog sie 616 Vorlagen – Referenden und Initiativen – aus allen Kantonen hinzu, die zwischen dem 1.1.1993 und dem 30.6.1998 zur Abstimmung gelangt waren. Ein Anteil von 88% schied als „problemlos“ aus. 6% der Vorlagen standen „zumindest teilweise“ im Widerspruch zu EU-Recht, und bei 5% bestand ein „Widerspruch in wesentlichen Punkten“. Fünf Vorlagen waren mit dem EU-Recht vollständig inkompatibel, wobei sich darunter die Initiativen zur Steuertransparenz (GE), zu Staatsbeiträgen für den Tourismusmarkt (SH) sowie die Zürcher Volksinitiative „Stopp der importierten Arbeitslosigkeit“ befanden.
Eine Studie des Europa-Institutes Zürich (Ibid.) analysierte die Auswirkungen einer Schweizer EU-Mitgliedschaft auf die Ausübung des Referendumsrechts auf Bundesebene. Der Zeitraum dieser Analyse war auch die Periode vom 1.1.1993 bis zum 30.6.1998, die Analyseobjekte waren 46 dem obligatorischen und 278 dem fakultativen Referendum unterworfene Vorlagen, die in diesem Zeitraum zur Abstimmung gelangt waren. Die Untersuchung ergab, dass zunächst rund 40% der Vorlagen gar nicht in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fielen und dass weitere rund 40% zwar vom EU-Recht berührt wurden, sich jedoch die Ergebnisse allfälliger Abstimmungen immer innerhalb des bei der Umsetzung des EU-Rechts verbleibenden Handlungsspielraumes bewegt hätten. 6% der fakultativen und 9% der obligatorischen Referenden beinhalteten lediglich „kleine Konfliktrisiken“ mit dem EU-Recht. Ein „gewisses Konfliktpotenzial“ wurde schliesslich aber bei immerhin 11% der obligatorischen bzw. 14% der fakultativen Referenden festgestellt.
Die letzteren Zahlen fanden sich im Integrationsbericht von 1999 des Bundesrates wieder, vermochten jedoch die Aussenpolitische Kommission des Ständerates nicht zufrieden zu stellen, die daraufhin eine qualitative Analyse verlangte (Bruno Frick: EWR 2 als europapolitische Option, in: NZZ 6.6.20008). Diese zeigte, dass sich unter diesen ganz oder teilweise inkompatiblen Vorlagen u.a. die Genschutzinitiative, die Alpenschutzinitiative, die LSVA, das Arbeitsgesetz, der Milchbeschluss, die Lex Koller über den Grundstückserwerb durch Ausländer befanden, für Ständerat Frick „ein einschneidender demokratischer Verlust“.

4.1.2. Massnahmen

Die Meinungen über die erforderlichen Massnahmen zur Bewältigung dieses Problems divergieren ziemlich stark. In der Forschung pendeln die Meinungen im Wesentlichen zwischen der Ansicht, dass durch den Souveränitätstransfer die faktische Entscheidungskompetenz des Schweizer Souveräns in den betroffenen Sachfragen rechtlich eingeschränkt werden müsste, und jener, dass es bei gleichzeitiger und unveränderter Beibehaltung der direktdemokratischen Instrumente zwar immer wieder zu Kollisionen mit dem EU-Recht kommen würde (so bei negativ ausfallenden Referenda zu EU-Erlassen oder bei der Annahme euro-inkompatibler Volksinitiativen), sich diese jedoch durchaus im Rahmen bestehender Praxis einiger EU-Mitglieder bewegen würden (Cottier/Kopse 1998: 439f., 484f.).
Astrid Epiney bezeichnet die vorzunehmenden änderungen im Referendums- und Initiativverfahren als „eher gering“, aber dennoch klar als notwendig (Epiney 1998: 332). So sollten etwa die durch EU-Recht bedingten Umsetzungs- und Vollzugsakte weiterhin prinzipiell dem Referendum unterstellt werden, allerdings könnte sich der Bundesrat immer dann seiner selbstständigen Verordnungskompetenz (Art. 102 Ziff. 5 BV) bedienen, wenn keine rechtlichen Gestaltungsspielräume mehr bestünden (Epiney 1998: 341). Weiter schlägt sie folgende Regelung vor, um Referenden vorzubeugen, die „gegenstandslos“ wären:

„(1) Die Bundesversammlung kann durch einen nicht referendumspflichtigen Bundesbeschluss Anpassungen von Bestimmungen der Bundesverfassung, von Bundesgesetzen oder allgemein-verbindlichen Bundesbeschlüssen an Vorgaben des Gemeinschaftsrechts vornehmen, sofern der innerstaatlichen Rechtsetzung kein Gestaltungsspielraum verbleibt. ...“ (Ibid.: 332)

Das Initiativrecht wiederum sollte nach Epiney im Gemeinschaftsrecht eine klare materielle Schranke erhalten:

„Die Teilrevision der Verfassung darf nicht gegen Verpflichtungen aus dem im Rahmen der Europäischen Union geltenden Recht verstossen.“ (Ibid.)

Eine solche A-priori-Schranke bedingt ein Prüfungsverfahren, das abklärt, ob die Initiative zur Abstimmung zugelassen werden kann. Diese Funktion könnten nach Epiney Bundesversammlung und Bundesgericht gemeinsam erfüllen. Bei teilweiser Inkompatibilität mit Gemeinschaftsrecht sieht Epiney ausserdem die Möglichkeit einer Teilungültigerklärung eines Volksbegehrens.
Wolf Linder vertritt in seinem Aufsatz „Erfordert die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eine Anpassung des schweizerischen Regierungssystems?“ (Cottier/Kopse 1998: 427–448) im Gegensatz dazu die Auffassung, ein EU-Beitritt der Schweiz müsse a priori keine Reformen der direktdemokratischen Mechanismen zur Folge haben (Ibid.: 445). So kritisiert Linder auch formaljuristische Argumentationen, die die es auch auf Streitfälle vor dem EuGH ankommen lassende Umsetzungsdynamik in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten ausser Acht liessen (Ibid.: 439f.).
Mahon/Müller (Ibid.: 485) schliessen sich ihm insofern an, als sie meinen, es sei falsch zu behaupten, die Schweiz müsse vor einem EU-Beitritt die direkte Demokratie abschaffen oder auch nur anpassen.
Andreas Auer vertritt schliesslich die Ansicht, dass angesichts der „sich tendenziell eher verstärkenden rechtlichen Spielraumes der Mitgliedstaaten“ (Kreis et al. 1999: 27, vgl. auch Epiney 1999: 344) Referendum und Initiative insbesondere als demokratische Legitimierungsinstrumente europapolitischer Entscheide beizubehalten sind.
Es ist auch Auer (Kreis et al. 1999: 27f.), der darauf hinweist, dass selbst der Bundesrat in seinem Integrationsbericht von 1999 feststellt, eine „Einschränkung der Volksrechte“ sei „nicht notwendig“.


4.2. Föderalismus / Regierungssystem

4.2.1. Auswirkungen

Fleiner/Töpperwein (Cottier/Kopse 1998: 323–347) weisen in ihrem Aufsatz zu den Konsequenzen eines EU-Beitritts für den Schweizer Föderalismus auch darauf hin, dass einst – und bis in den EWR-Abstimmungskampf hinein – die Unvereinbarkeit von EU-Beitritt bei gleichzeitiger Beibehaltung des Föderalismus vertreten wurde. Um diesen undifferenzierten Ansatz begegnen zu können, soll in diesem Abschnitt unter Beizug der Fachliteratur die Frage nach den Auswirkungen eines Schweizer EU-Beitritts auf das föderalistische Staatssystem Schritt für Schritt diskutiert werden.
Mit dem Beitritt kommt es zur Abtretung einiger Bundes- und Kantonalkompetenzen an die Union9. Dieser Souveränitätsverlust geht auf Bundesebene einher mit einem Funktionsverlust für den Bundesrat. Gleichzeitig werden diesem von der Union neue Aufgaben zugewiesen: die Arbeit in den EU-Gremien. Eine von Bruno Frick zitierte Analyse (Bruno Frick: EWR 2 als europapolitische Option, in: NZZ 6.6.2000) zeigt, dass diese Verpflichtungen über 50% der bundesrätlichen Arbeitszeit in Anspruch nehmen würden. Weiter erwachsen dem Bund und den Kantonen neue Pflichten: Sie müssen die in den entsprechenden Politikbereichen beschlossenen EU-Erlasse auf ihrer Ebene umsetzen.
Gleichsam wird der bis dahin dreistufige intrahelvetische Föderalismus somit um eine Stufe, die europäische Ebene, erweitert. Mit dieser Ebene finden aber auch Elemente eines anderen Föderalismusverständnisses Eingang in die Schweiz: Während der Schweizer Föderalismus, wie erwähnt, auf der Selbstbestimmung der Kantone fusst, sind die Strukturen der EU vom Mitwirkungsföderalismus geprägt (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 338–345). In der EU als übergeordneter Einheit wirken die einzelnen Mitgliedstaaten sowie – wenn auch mit wesentlich weniger Kompetenzen ausgestattet – die Regionen an der Entscheidfindung der Union mit (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 346f.).
Hier setzt ein weiteres innenpolitisches Problem an: Zwar werden an die Union zahlreiche Politikbereiche delegiert, dennoch kann die Schweiz diese innerhalb der EU-Gremien zumindest mitbestimmen. Die Schweizer Vertreter im Europäischen Rat und in den Fachministergremien sind aber Regierungsvertreter, seien es Bundesräte oder Staatssekretäre. Hier sieht Andreas Auer (Kreis et al. 1999: 27f.) wiederum ein demokratisches Legitimationsproblem: Der Einfluss des nationalen, vom Volk gewählten Parlaments in der Politikgestaltung werde empfindlich eingeschränkt, weshalb hier Reformbedarf entstehe.

4.2.2. Massnahmen

Nach heutiger Forschung ist die Koexistenz des Föderalismus mit einer EU-Mitgliedschaft möglich, das führen schon diverse EU-Mitgliedstaaten mit föderalistischem Staatsaufbau wie etwa Deutschland, Österreich oder Belgien vor. Im Falle der Schweiz, so ist man sich einig, sei allerdings ein Umbau des Systems notwendig. Eine Föderalismusreform kann aber nur Hand in Hand mit einer Regierungsreform verwirklicht werden, herrschen doch in diesen Bereichen gegenseitige Abhängigkeiten. Dieser Abschnitt soll darum Reformmöglichkeiten in beiden Bereichen diskutieren.
Wie Fleiner/Töpperwein ausführen, hat das Konzept der Teilbarkeit von Souveränität in der Schweiz eine lange Tradition, und insofern sei der Kompetenztransfer eine durchaus vorstellbare Sache (Cottier/Kopse 1998: 327) – schon nur angesichts des langsamen, aber stetigen Kompetenztransfers innerhalb der Schweiz: jenem von Kantons- auf Bundesebene, der in den letzten 100 Jahren geschehen ist (Hänni 2000: 384).
Die Problematik rund um die Ablehnung ist drum wohl eher in der historischen Dimension zu suchen: Es ist gerade der Aspekt der Souveränität, der Selbstbestimmung, der ein solch wichtiger Teil schweizerischen Selbstverständnisses auch heute immer noch ist, weshalb auch deren Abtretung an „äussere Mächte“ weiterhin auf nicht zu unterschätzende Ablehnung stösst (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 326).
Ist nun der Beitritt einmal beschlossene Sache, so müssen vorgängig Anpassungen in den Föderalismusstrukturen sowie die erwähnten Funktionsumschichtungen in Bundesregierung bzw. -verwaltung realisiert werden.
Ein erstes Problem ist, dass durch den erlittenen Souveränitätsverlust das Selbstbestimmungsprinzip der Kantone geschwächt wird. Dies ist durch eine Erweiterung des Mitwirkungsprinzips aufzufangen, so dass Kantone vermehrt in die Entscheidfindung des Bundes bzw. in die Ausarbeitung von schweizerischen Positionen in der EU-Politik eingebunden werden. Ein gegenwärtiges Beispiel ist seit 1993 die erwähnte Konferenz der Kantonsregierungen (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 333). Auch könnten die Kantone im EU-Ausschuss der Regionen Einsitz nehmen und dort die europäische Politik mitbestimmen – wenn dieser vorerst auch nur einen begrenzten Einfluss hat.
Neben der Föderalismusreform ist auf Bundesebene eine wirksame Regierungsreform vonnöten, denn der Bundesrat bzw. Staatssekretäre werden viel Zeit in EU-Gremien verbringen müssen. Die Grösse und Organisation der Regierung muss deshalb hinsichtlich einer effizienten Mitwirkung in den europäischen Räten angepasst werden (Economiesuisse 2000: 27), sei es, indem die Zahl der Bundesräte oder jene der Staatssekretäre erhöht wird. Gleichsam kommen der Regierung neue Funktionen zu: Sie übernimmt die Rolle eines Bindeglieds zwischen Kantonen und Union. Sie muss informieren, koordinieren und ist die Interessenvertretung der Schweiz und ihrer Kantone auf der europäischen Ebene.
In diesem Zusammenhang weisen Fleiner/Töpperwein auf die Gefahr eines Regierungsföderalismus hin (Cottier/Kopse 1998: 335). Auch Andreas Auer (Kreis et al. 1999: 24f.) bemerkt, dass der Bundesrat durch erweiterte Entscheidungskompetenzen (Mitwirkung im ER etc.) viel mehr Macht erhalte, als er demokratische Legitimation besitze. Er schlägt in diesem Zusammenhang die Volkswahl des Bundesrates vor.
Anders beurteilt Ehrenzeller (Cottier/Kopse 1998: 311–315) die Situation und schlägt vor, angesichts des bei einem Beitritt ebenfalls zu befürchtenden Machtverlusts des Parlaments dessen Kontrollfunktionen gegenüber dem Bundesrat auszubauen. Er spricht dabei von der „Anerkennung und Verankerung einer umfassenden, substanziellen und rechtzeitigen Informations- und Konsultationspflicht des Bundesrates bei allen rechtsetzenden und politisch bedeutsamen EU-Vorhaben“ (Ibid.: 312f.). Die bei einer solchen Konsultation erfolgende Stellungnahme des Parlaments möchte er allerdings nicht a priori als politisch verbindlich sehen.
Die Gewichtsverlagerung von nationaler Legislative zur Exekutive ist auch bei Epiney ein Thema (Epiney 1998: 338). Sie schlägt vor, in beiden Parlamentskammern Europa-Kommissionen zu schaffen, die, wie auch das Parlament, umfassend über Entwicklungen in der Union zu informieren wären. Die Kommissionen wären sodann mit mehr oder weniger weit gehenden Rechten zur Stellungnahme auszustatten. Solche Stellungnahmen der Kommissionen oder auch des Plenums wären vom Bundesrat „zumindest zu berücksichtigen, ggf. ‚in besonderem Masse‘“ (Ibid.: 340).

4.3. Schluss

Alles in allem ergibt sich ein ansehnlicher Reformkatalog, der bei politisch konservativen Geistern zu Recht ängste auslöst: „Alles beim Alten“ wird es wohl bei einem EU-Beitritt der Schweiz nicht bleiben. Doch zentral ist die Erkenntnis, die im Grossteil der Literatur immer wieder auftaucht: Die Souveränitätsverluste haben ihren Ursprung in den globalen Veränderungen und ziehen deshalb wohl oder übel Veränderungen nach sich, und selbst ein bilateraler Weg birgt bilaterale Verregelungen, die die Schweiz in ihrer Handlungfreiheit binden. Schliesslich ist auch die Debatte um die Regierungsreform keine neue und existiert schon gar nicht nur im Zusammenhang mit der Europafrage.
Es bleibt die Frage, ob etwas Mitbestimmung innerhalb der EU-Strukturen langfristig nicht doch eine sinnvolle Lösung für die Zukunft der Schweiz darstellt (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 330).


5. Schlusswort


Die zunehmende internationale Kooperation auf wirtschaftlicher Ebene im Rahmen der Globalisierung entwickelt eine Dynamik, die von einzelnen Nationalstaaten immer weniger beeinflusst werden kann. Deshalb muss dieser Internationalisierung der Wirtschaft auch eine Internationalisierung der Politik folgen. Die Schweiz als vergleichsweise kleiner Akteur kann als Mitglied eines grösseren Verbandes wie der EU insgesamt mehr Einfluss ausüben, als wenn sie alleine dastünde.
Gegen einen EU-Beitritt gibt es weiterhin eine breite Opposition, die wirtschaftliche Argumente geschickt mit Verlustängsten um traditionelle staatspolitische Institutionen verquickt. Christoph Blocher und seine AUNS haben entscheidend dazu beigetragen, einerseits die Frage nach einer nachhaltigen Zukunft der Schweiz in Europa hinauszuzögern – denn „bilateral“ ist nicht nachhaltig – und andererseits damit letztlich dem „Landigeist“, einem Anachronismus sondergleichen, eine Gnadenfrist zu gewähren.
Ohne eine Entkoppelung des ideologisch dämonisierten Souveränitätsverlustes von der Europafrage und dessen Einordnung in eine höhere Ebene lässt sich keine rationale Politik aufbauen. Die Integrationsagenda des Bundes ist in hohem Masse innenpolitisch determiniert (Vgl. Cottier/Kopse 1998: 269). Es liegt beim Bundesrat, mit einer sachlichen und intensiven Informationspolitik dem Souverän die welt- und europapolitischen Perspektiven für die Schweiz aufzuzeigen. Und so müssen auch die Auswirkungen eines EU-Beitritts – besonders im Bezug auf direkte Demokratie und Föderalismus – soweit möglich geprüft, differenziert und der öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die lange verbreitete Ansicht, die Schweiz müsse direkte Demokratie und Föderalismus im Falle eines Beitritts aufgeben, ist überholt. Diese identitätsstiftenden Bestandteile der schweizerischen Politik können auch nach einem Beitritt zur Europäischen Union beibehalten werden. Allerdings ist sich die Forschung weit gehend einig, dass dabei mit dem Souveränitätstransfer von vormals Bundes- und Kantonalkompetenzen an die Union einerseits die direkte Demokratie in den betroffenen Politikbereichen eingeschränkt würde, und dass andereseits auch in den Schweizer Föderalismusstrukturen einige änderungen vorgenommen werden müssen.
Was die direkte Demokratie angeht, so wäre es vorteilhaft, beim Beitritt weit gehende Eurokompatibilität garantierende „Sicherungen“ in direktdemokratische Verfahren einzubauen. Im Zentrum des Interesses steht die Verhinderung von „gegenstandslosen“ Referenden und Initiativen, die, einmal angenommen, aufgrund ihrer Inkompatibilität mit EU-Recht dann doch nicht in Kraft treten könnten.
Sodann wäre eine Föderalismusreform nötig, und mit ihr die Reform der Bundesregierung. Einerseits würde durch den erlittenen Souveränitätsverlust das Selbstbestimmungsprinzip der Kantone geschwächt. Dies wäre durch eine Erweiterung des Mitwirkungsprinzips aufzufangen, so dass Kantone vermehrt in die Entscheidfindung des Bundes eingebunden würden. Die Kantone wiederum könnten im Ausschuss der Regionen Einsitz nehmen und dort die europäische Politik mitbestimmen – wenn auch nur begrenzt.

Neben der Föderalismusreform wäre auf Bundesebene eine wirksame Regierungsreform vonnöten. Die Grösse und Organisation der Regierung müsste hinsichtlich einer effizienten Mitwirkung in den europäischen Räten angepasst werden (Economiesuisse 2000: 27). Gleichsam kämen der Regierung neue Funktionen zu: Sie übernähme die Rolle eines Bindeglieds zwischen Kantonen und Union. In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr eines Regierungsföderalismus: Der Bundesrat erhielte durch erweiterte Entscheidungskompetenzen in Brüssel viel mehr Macht, als er demokratische Legitimation besitzt. Hier bietet sich ein Ausbau der Kontrollfunktionen des tendenziell benachteiligten Parlaments an, dass sich so seinen Einfluss auf die EU-Politik sichert.
Alles in allem erscheint aus dieser Perspektive ein Beitritt sinnvoll. Die Mitgliedschaft in der EU kann aufgrund der globalen Verregelung längerfristig eine Weiterführung des Föderalismus in der Schweiz überhaupt erst sichern, und weder Staats- noch Entscheidungsstrukturen müssten dermassen verändert werden, sodass die Schweiz ihre politische Identität verlöre.

 

6. Bibliografie

Forschung:


Bieber, Roland u. a. 2000:
Differenzierte Integration in Europa. Handlungsspielräume für die Schweiz? Chur/Zürich: Rüegger.

Brunetti, Aymo; Jaggi, Markus; Weder, Rolf 1999:
Die Schweiz in der europapolitischen Zwickmühle. Zürich.

Cottier, Thomas u. Kopse, Alwin R. (Hg.) 1998: Der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union. Brennpunkte und Auswirkungen. Zürich: Schulthess.

Economiesuisse (Hg.) 2000: Europa. Optionen und Hausaufgaben. Zürich: Economiesuisse.

Epiney, Astrid 1998:
Schweizerische Demokratie und Europäische Union. Zur demokratischen Legitimation in der EU und den Implikationen eines EU-Beitritts der Schweiz für die schweizerische Demokratie. Bern: Stämpfli.

Goetschel, Laurent 1998:
Small States Inside and Outside the European Union. Interests and Policies. Boston: Kluwer.

Hänni, Peter (Hg.) 2000: Schweizerischer Föderalismus und europäische Integration. Die Rolle der Kantone in einem sich wandelnden internationalen Kontext. Zürich: Schulthess.

Klöti, Ulrich u. Peter Knoepfel, Hanspeter Kriesi, Wolf Linder, Yannis Papadopoulos (Hg.) 1999:
Handbuch der Schweizer Politik. Zürich: NZZ.

Kreis, Georg; Auer, Andreas; Koellreuter, Christoph 1999: Die Zukunft der Schweiz in Europa? Basler Schriften zur europäischen Integration Nr. 40.

Lavenex, Sandra 2000:
Offen und kooperativ? Aussenpolitische Leitbilder der Schweiz in der Volksbefragung. UNIVOX IV D Aussenpolitik 2000. Zürich/Bern: GfS-Forschungsinstitut.


Nachschlagewerke:


v. Baratta, Mario (Hg.) 1999: Fischer-Weltalmanach 2000. Frankfurt a. M.: Fischer.


Zeitungen, Zeitschriften:

NZZ – Neue Zürcher Zeitung. Zürich.


Internet (Der Stand der Webseiten entspricht der Periode Januar–März 2001):

www.admin.ch – Website der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern
www.economiesuisse.ch – Website der Economiesuisse, Zürich
www.europa.admin.ch – Website des Integrationsbüros EDA/EVD, Bern
www.gfs.ch – Website des GfS-Forschungsinstituts, Zürich/Bern
www.parlament.ch – Website der Schweizerischen Bundesversammlung, Bern
www.polittrends.ch – Informations-Website des GfS-Forschungsinstituts, Zürich/Bern

1 Vgl. Klara Obermüller: Jean Rudolf von Salis. Dem Leben recht geben. Zürich: Weltwoche 19977: 160.

2 http://www.parlament.ch/D/Staatskunde/Einrichtungen_d.htm

3 Wobei davon 6 nur Halbkantone sind, die entsprechend nur einen Vertreter in den Ständerat entsenden können.

4 Schweden, Norwegen, Dänemark, Grossbritannien, Österreich.

5 Vgl. auch http://www.europa.admin.ch/d/pub/dos/eckdaten.htm sowie Economiesuisse 2000: 7, im Internet: http://www.economiesuisse.ch/d/downloads/ACF2AC.pdf

6 Im Internet auf: http://www.gfs.ch/europa.html

7 Eine umfangreiche Liste findet sich in Economiesuisse 2000: 27–33.

8 Im Bilaterale-Verträge-Dossier auf der NZZ-Website: http://www.nzz.ch/dossiers/dossiers1999/bilaterale_abkommen/2000.06.06-il-article6HKFH.html

9 Betroffene kantonale Politikbereiche mit verbleibender grosser Regelungsbefugnis sind u. a. Erziehung und Kultur, Gesundheitswesen und Infrastruktur, Justiz, Asylrecht, polizeliche Zusammenarbeit und Rechtshilfeverfahren. Ein klarer Souveränitätsverlust ist in den Bereichen Berufsdiplome, öffentliches Beschaffungswesen und Heilmittelkontrolle gegeben (Cottier/Kopse 1998: 337).


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